Baustellengeschichten – Teil 9, 17.05.2021

Tapetenwechsel

Geht Ihnen das auch manchmal so? Sie wollen ein neues Outfit? Neue Wohnung? Anderen Job? Anderen Partner oder Partnerin? Neue Möbel? Neue Tapeten oder Anstrich? Das Alte, vielleicht auch Bewährte taugt nicht mehr so? Veränderung oder Neues ist angesagt?

Gut, manches lässt sich nicht so einfach verändern. Da braucht es Geduld und Muße. Aber so manches lässt sich leicht verändern und hinterlässt eine große Wirkung. Zumindest bis zur nächsten Veränderung. Manchmal ist es einfach auch nur der Wunsch oder die Sehnsucht, anders sein zu wollen. Das drückt sich dann über vielfältige äußere Veränderungen aus. Und nach den vielen Wechseln, Veränderungen, Neuerungen stellt man dann vielleicht ernüchtert fest: Eigentlich hat sich nichts verändert, ich bin immer noch so wie früher, ich bin immer noch der oder die Alte. Und vielleicht ist das sogar gut so und beruhigend. Nicht jede Mode macht mich zu einem anderen, neuen Menschen. Irgendwie bin ich mir treu geblieben.

Beim Gang durch die Baustelle im Alten Pastorat zeigt sich das Phänomen des Wechsel- und Erneuerungswunsches oder auch des Bedürfnisses bzw. einer Notwendigkeit nach Veränderung und Renovierung nochmal ganz deutlich. Allerdings auf andere Weise. Nachdem das gesamte Pastorat entleert wurde, stellt man fest: Die Außenwände stehen noch, die tragenden Innenwände auch, manche Wände sind weg. Leitungen hängen verloren an den Decken und Wänden, Isolierungen sind runter. Die Verkleidung, die Fassade ist also weg. Der Lack ist ab. Man kann sich nur noch vorstellen, wie es hier einmal ausgesehen hat. Doch faszinierend bleibt es: Es wirkt wie ein unwirtlicher Ort, wohnen und arbeiten möchte da jetzt niemand. Aber es ist ein ehrlicher Ort. Ungeschminkt, nackt, verletzlich, offen. Und das Alte Pastorat offenbart so die vielen Wechsel, Moden, Stilveränderungen, Geschmacksrichtungen und ja, auch Geschmacksabenteuer der letzten Jahrzehnte.

Tapetenschichten zeugen davon, wie andere Generationen leben und arbeiten wollten, welche Umgebung für sie ansprechend oder funktional war. Es sind viele Schichten. Und somit viele Veränderungen. Und viele Menschen. Unter allen Schichten von Tapeten aller Art, unterschiedlicher Ornamentik, Zeitungspapier, und anderem Füllmaterial bleibt aber etwas Unveränderliches, der Kern, das Wesentliche und Echte des Hauses bestehen.

Wie bei einem Menschen zeigt sich hier die Treue zum Alten und Bewährten. Dazu muss aber mal der ganze Lack ab, die Maskerade, die Kulissen, die Fassaden. Dann kommt man zum Kern. Zum Echten und Wahren. Auch hier stellen wir fest: Es hat sich eigentlich nichts verändert. Für mich macht der Rundgang durch die Baustelle des Alten Pastorats deutlich:

Gut, dass das Wichtige und Wesentliche im Leben und vor allem unser göttlicher Wesenskern im Grunde und in der Tiefe unveränderlich bleiben. Auch ein „Neues“ Pastorat bleibt dann hoffentlich eben auch ein „Altes“ Pastorat.

Noel-Hendrik Klentze