Baustellengeschichten – Teil 4, 13.05.2021

Wo ist er hin?

Wer vor Beginn der Baumaßnahmen in St. Jürgen, also früher, den Altar betrachtet hatte und genauer hingeschaut hatte, dem ist wahrscheinlich aufgefallen oder er wurde darauf hingewiesen, dass ganz oben, also oberhalb des Altaraufsatzes in der Kuppel zwei Fußsohlen zu sehen waren. Ein breviaturhaftes Bild, ein Symbol für den in den Himmel aufgefahrenen Christus. Das letzte, was man von ihm sah, waren seine Fußsohlen von unten…Es ist ein sehr verständliches, ein vielleicht naives Bild für das Geheimnis von Christi Himmelfahrt. Aber es ist selten so einprägsam und deutlich dargestellt, wie am Altar von St. Jürgen. Und dennoch bleibt die folgerichtige und wichtige Frage: Wo ist er hin? Ja, wo ist er bloß hin?

Heute im Jahr 2021 ist die Kirche verschlossen, da die Baumaßnahme noch andauert. Und der Altar ist zum Schutz und zur Absicherung mit Folien verpackt und in eine hölzerne Behausung, in einen Holzkasten gesteckt. Wer sich heute also dem Altar nähert, muss zumindest wissen, dass dieser dort eigentlich noch steht und kann diesen nur aus der Erinnerung heraus beschreiben, wie er aussieht. Der Altar mit dem Abendmahlsbild, dem gekreuzigten Jesus, dem auferstandenen Christus und schließlich mit den beiden Fußsohlen Christi ist verpackt, in gewisser Weise verstellt und nicht sichtbar und trotzdem ist er da, sehr präsent und massiv sogar, unübersehbar, aber eben anders. Christus ist hier momentan doppelt verborgen. Für mich beschreibt diese Situation und Erfahrung sehr treffend das Fest Christi Himmelfahrt. Jesus ist gestorben und auferstanden, er ist aufgefahren in den Himmel. So sagt es die Schrift und unser Glauben. Er ist also irgendwie weg, verborgen, bei Gott, aber trotzdem da, nur eben anders.Christus hat uns immerhin seinen Heiligen Geist, den Beistand, Anwalt, Helfer und Tröster geschickt, den Geist, durch den wir glauben können und auf wunderbare Weise diesen verborgenen Christus trotzdem erkennen und erfahren können.

Und so ist es auch im Leben. Wie oft frage ich mich: Wo ist Gott? Oder: Wo ist er hin? Vielleicht kann das jeder Mensch nur für sich selbst beantworten. Aber das Dilemma bleibt für fast alle gleich: Er ist verborgen, unsichtbar, nicht wirklich greifbar, versteckt, nicht erfahrbar und manchmal, in unterschiedlichen Situationen des Lebens doch ganz nah, sichtbar, fühlbar und wirksam. Vielleicht brauche ich einfach nur aufmerksam sein und den verborgenen Gott in den Menschen, den Geschöpfen um mich herum, in der Natur, in der Schöpfung und in der Kirche zu entdecken und zu erfahren. Vielleicht offenbart sich dieser Gott auch ganz überraschend und spontan, wie ich es überhaupt nicht erwartet oder vermutet hätte. Oder ich erinnere mich, dass er doch da ist. Ich erinnere mich, wo er ist, wie er ist. Für mich und für andere. Ich ahne, wie und wann ich ihn einmal erfahren habe. In den vielen Baustellen des Lebens.

Der doppelt verborgene Christus in der Baustelle von St. Jürgen macht mir bewusst:

Er ist da, trotz allem.